11. April 2024
Kinderarbeit in Kakaolieferkette: Unternehmensdialog mit Lindt & Sprüngli
Unternehmensdialoge sind das Herzstück des Nachhaltigkeitsengagements bei Forma Futura und ein wesentlicher Bestandteil des nachhaltigen Investierens. Sie erlauben uns, mit Unternehmen auf eine konstruktive Weise in Dialoge zu treten und auf Geschäftspraktiken hinzuweisen, die unseren Werten und denen unserer Kundinnen und Kunden nicht entsprechen. Ebenso können wir die Unternehmen auf wichtige Themen sensibilisieren und Impulse zu Veränderungen geben. Anhand einer aktuellen Kontroverse des Schweizer Schokoladeherstellers Lindt & Sprüngli möchten wir Ihnen einen Einblick in einen mehrstufigen Unternehmensdialog geben, den wir seit anfangs 2024 führen.
Kinderarbeit in Kakaolieferkette von Lindt & Sprüngli: Journalistenkollektiv deckt auf
Im Januar 2024 deckte ein Beitrag von SRF Rundschau Fälle von Kinderarbeit auf verschiedenen Kakaoplantagen in Ghana auf. Die Bilder zeigen Kinder im Schul- und Vorschulalter beim Tragen schwerer Erntekörbe oder bei der Arbeit mit Macheten, und dies, obwohl Kinderarbeit in Ghana verboten ist. Wie die Recherchen zeigen, bezieht auch der Schweizer Schokoladeproduzent Lindt & Sprüngli einen Teil seines Kakaos von den porträtierten Plantagen, teilweise über den Zwischenhändler Ecom.
Kinderarbeit ist ein systemisches Problem, das viele Ursachen hat und meistens in Zusammenhang mit Armut auftritt.
Ein einzelnes Unternehmen kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden. Der Beitrag warf trotzdem einige Fragen auf, vor allem da das hauseigene Monitoring von Lindt & Sprünglis laut Nachhaltigkeitsbericht aus dem Jahr 2021 bei insgesamt 8491 Kontrollen auf gerade mal 87 Fälle von Kinderarbeit stiess. Diese Zahlen stehen in einem starken Kontrast zur anscheinend allgegenwärtigen Präsenz des Problems. Zudem suggeriert der Beitrag der Rundschau, dass das Lindt & Sprüngli Farming Programme, das unter anderem Bauernfamilien und Dörfer in Produktionsgebieten in Bezug auf die Kinderarbeitsthematik sensibilisieren möchte, betroffenen Menschen kaum ein Begriff ist. Aus diesen Gründen entschieden wir uns, mit Lindt & Sprüngli einen Unternehmensdialog zu starten, um genauere Auskunft über einige Fragen zu erhalten.
Unternehmensdialog Teil 1
Nach einer internen Absprache kontaktierten wir Lindt & Sprüngli im Januar per E-Mail und baten um eine Stellungnahme und Ausführungen zu den Vorwürfen im Bericht der Rundschau. Wir wollten unter anderem wissen, weshalb das Unternehmen das Ausmass von Kinderarbeit auf seinen Plantagen trotz eigener Kontrollen derart unterschätzt hat und das Farming Programme laut Rundschau den Menschen vor Ort kaum bekannt ist. Zudem stiessen wir eine Diskussion um die an Bauernfamilien bezahlten Kakaopreise in der Branche an, welche wir als zu niedrig erachten und der einer der Hauptgründe ist, weshalb Kinder als Erntehelfer eingesetzt werden. Vor allem angesichts der rekordhohen Profite von Lindt & Sprüngli im Jahr 2023 äusserten wir unser Unverständnis gegenüber der Tatsache, dass das Unternehmen die Bezahlung höherer Prämien für die Produzenten kaum thematisiert. Wir wiesen ausserdem darauf hin, dass westliche Unternehmen im globalen Süden ein grosses Potential aber auch eine moralische Verpflichtung haben, die Lebensgrundlagen von Menschen zu verbessern und dieser Verantwortung nachkommen sollen.
Leider enttäuschte uns die Antwort. Ohne konkret auf unsere einzelnen Punkte einzugehen, teilte das Unternehmen in einem E-Mail mit, dass das Gespräch mit Importeuren gesucht würde, bekräftigte die Wirksamkeit des Farming Programmes und verwies zudem auf Teile des letztjährigen Nachhaltigkeitsreports, das sich der Thematik widmet. Die Preisfrage wurde nicht angesprochen und die Verantwortung teilweise auf Importeure abgeschoben.
Die Eskalationsstufen eines Unternehmensdialogs: kollaborative Ansätze
Im Idealfall sind Unternehmensdialoge im Rahmen des nachhaltigen Investierens mehrstufige Verfahren und umfassen sogenannte Eskalationsstufen bzw. Eskalationsstrategien. Diese werden vor allem angewendet, wenn Antworten von Unternehmen unbefriedigend sind oder ganz ausbleiben.
Eskalationsstrategien dienen dem Zweck, schrittweise mehr Druck auf ein Unternehmen auszuüben, seine Geschäftspraktiken anzupassen, Informationen bereitzustellen oder anderweitige Massnahmen zu treffen, damit Nachhaltigkeitsversprechen in die Tat umgesetzt werden.
Auch soll damit vermieden werden, dass Unternehmensdialoge zu einer Alibiübung verkommen. Im Rahmen einer solchen Eskalationsstrategie können zum Beispiel weitere Akteure wie zivilgesellschaftliche Gruppen oder Investor:innen mit ähnlicher Gesinnung miteinbezogen werden, um dem Unternehmensdialog mehr Reichweite und Gewicht zu geben. Daneben kann mit Abstimmungsempfehlungen an den Generalversammlungen oder dem Ausschluss aus dem Investitionsuniversum eine weitere Eskalationsstufe herangezogen werden. In unserem Fall entschieden wir uns für einen kollaborativen Ansatz mit ebenfalls in Lindt & Sprüngli investierten Mitgliedern von Shareholders for Change, einer Assoziation von institutionellen Investoren, die sich für nachhaltige Unternehmenspraktiken einsetzt und kollaborative Unternehmensdialoge durchführt.
Zeitgleich erhielten wir über ein Shareholder for Change-Mitglied Kontakt zu einem Experten der deutschen NGO Südwind, der sich auf Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit in der Kakaolieferkette in Ghana und der Elfenbeinküste spezialisierte. In einem ausführlichen Interview konnten wir unser Wissen über die Thematik stark vertiefen, und verfassten darauf aufbauend ein weiteres Schreiben an Lindt & Sprüngli, worin wir im Namen der Shareholder for Change-Mitglieder konkrete Erwartungen und pointierte Forderungen stellten. Der weitergeführte Dialog sollte dem Unternehmen signalisieren, dass die Kontroverse eine breite Front von Investoren und Investorinnen weiterhin beschäftigt. Das Hauptargument des Briefes betraf wiederum die Preis- und Vertragsthematik: ausgehend von den Informationen des Lieferkettenexperten verwiesen wir auf die bewiesenen, positiven Effekte von marktpreisunabhängigen Prämien, langfristigen Lieferverträgen sowie Vorfinanzierungsmassnahmen, um die Existenzgrundlagen von Produzent:innen auch in Krisenzeiten (Ernteausfälle, Preiszerfälle) zu sichern.
Abschluss oder Ausschluss?
Eines der drastischsten Mittel einer Eskalationsstrategie im Unternehmensdialog ist der Kapitalabzug, das Divestment. Führt ein Dialog zu keinen nennenswerten Ergebnissen oder verstärken sich gar die Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Nachhaltigkeitsversprechen, können Beteiligungen verkauft und der Ausschluss dem betroffenen Unternehmen begründet mitgeteilt werden. Zu diesem Mittel greifen wir bei Forma Futura jedoch selten. Grundsätzlich sehen wir im Unternehmensdialog ein probates Mittel, um auf eine konstruktive Art und Weise Druck auf Unternehmen auszuüben und im Idealfall Veränderungen anzustossen. Mit einem sogenannten Divestment entledigen wir uns dieser Möglichkeit.
Im Falle von Lindt & Sprüngli läuft die Diskussion vorerst weiter. Die zweite Antwort auf unser Schreiben war wiederum unbefriedigend und ausweichend. Zwar lieferte das Unternehmen etwas mehr Details zu geplanten Zertifizierungen von Kakaobutter und Kakao und verkündete die Einführung eines „Living Income“ Pilotprogramms von 2025-2027. Jedoch mussten wir feststellen, dass Lindt & Sprüngli eine konkrete Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Fragen vermied. Insbesondere irritiert uns die ausweichende Haltung zu einer Frage zum kommenden Lieferkettengesetz der Europäischen Union (Corporate Social Due Diligence Directive) und den Konsequenzen für Lindt & Sprüngli. Dieses kürzlich beschlossene Gesetz ermöglicht es, dass Unternehmen, die in der EU angesiedelt sind oder einen gewissen Umsatz generieren, für Menschenrechtsverletzungen wie Kinderarbeit vor Gericht gebracht werden können. Da Lindt & Sprüngli in Aachen einen Produktionsstandort betreibt, wäre das Unternehmen somit betroffen.
Der Unternehmensdialog ist somit noch nicht abgeschlossen und wird uns wohl noch eine Weile beschäftigen. Uns ist es ein Anliegen, dass Unternehmensdialoge nicht pro forma abgewickelt werden, was leider allzu oft geschieht. Eskalationsstrategien helfen dabei, ein Thema über längere Zeit aktuell zu halten und den Dialog mit Unternehmen zu vertiefen. Inwiefern damit Kinderarbeit und nachhaltige Beschaffungspraktiken adressiert werden können, bleibt abzuwarten.
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manuel.wirth@formafutura.com +41 44 287 22 97
«Als Wirtschaftsgeograph war ich während meines Studiums und Doktorats täglich mit den sozialen und ökologischen Krisen unserer Zeit konfrontiert. Ich bin überzeugt, dass der Finanzmarkt für die Bewältigung dieser Herausforderungen und der Finanzierung von Lösungen einen entscheidenden und effektiven Beitrag leisten muss. Ich freue mich, bei Forma Futura Teil eines Unternehmens zu sein, das sich dieser Aufgabe entschlossen annimmt und es dabei auch wagt, neue Wege zu gehen.»